Freund oder Bekannte? – von Lissi Bender*

Oft hört man Leute sagen, die Deutschen achten auf Abstand bei Begrüßungen,  sie sind kalt und zurückhaltend. Diese Ansicht wird u.a. wohl durch unterschiedliche Begrüßungsrituale  intensiviert und daher entstehen Vorurteile. Während  man sich Brasilien bei der Begrüßung umarmt und küsst,  reicht man in Deutschland eher nur die Hand. Dabei bleibt natürlich eine gewisse Distanz beibehalten.  Viele Deutschen verhalten sich ebenfalls reserviert im beruflichen Gebiet. Vielleicht werden sie auch deshalb als kaltherzig bezeichnet, weil so mancher Deutsche selbst Leistung und Disziplin vor Freizeit stellt. Eine solche Verhaltungsweise wird nicht selten von Brasilianern falsch verstanden.  Es herrschen in Deutschland nämlich andere Verhaltensweisen als in Brasilien, und das sollte man wissen, wenn man mit Deutschen zusammen kommt.

Wenn sie in Briefen die Anrede „Liebe(er)“ gebrauchen, heißt das nicht unbedingt etwa „querido“ oder „amado“. Vorsichtshalber sollte man die Anrede als „cara(o)“ oder „estimada(o)“ verstehen,  das passt eher zur deutschen Begrüßungsart.  Man pflegt meistens einen deutlichen Unterschied zwischen Bekanntschaft und Freundschaft, während man hier in Brasilien  Bekannte und Freunde oft nicht voneinander trennt. Es sind nun mal andere Länder, andere Sitten.

Während viele Menschen Deutsche für distanziert halten, halten die Deutsche sich selbst für offen und kontaktfreudig. Das meint die Mehrheit der Deutschen. Auch hier in Santa Cruz hört man oft, dass viele Santa-cruzense sich  eher verschlossen und zurückhaltend verhalten, dass Santa-cruzense nicht kontaktfreudig sind. Tja hier leben ja auch viele Deutschstämmige, und Gewohnheiten sind nun mal langlebig.

Aber ich bin der Meinung, die Deutschen sind nicht kaltherzig,  und auch nicht verschlossen, sie benehmen sich eben anders als Brasilianer in sozialen und beruflichen Angelegenheiten.  Z.B., normalerweise küssen sie nicht gleich jeder fremde Mensch den sie gerade erst mal kennengelernt haben oder laden ihn zu sich zu Besuch ein. Außerdem sollte man daran denken, dass die Epoche der Romantik von Deutschland ausging. Kaum ein Land hat so viele Gefühle in Wort und Ton geschaffen! Namen wie Goethe, Brentano, Eichendorff, Novalis, die Brüder Grimm, Beethoven, Schubert, Brahms, Wagner, und viele andere müssen genannt werden. Sie haben Meisterwerke der Gefühle geschaffen.

Vor allem aber im Berufsalltag verhalten sich  Deutschen distanziert. Man duzt sich normalerweise nicht mit Kollegen, und  man wahrt eine gewisse Distanz zu Bekannten,  wenn man sie beruflich trifft.  Ein Bekannter erzählte mir, dass er in einem Lokal einen Deutschen kennen gelernt hat, dass sie sich prima amüsiert haben. Diesen Deutschen habe er ein paar Tage später an dessen Arbeitsstelle getroffen. Dort habe er ihn distanziert und formell bedient. Deutschen können wie kaum andere Menschen das Private und das Berufliche voneinander trennen. Im privaten Leben versucht man erst eine Vertrauensbasis aufzubauen, bevor man eine Freundschaft eingeht. Was ich für vernünftig halte.*Lissi Bender ist Dozentin an der Universität UNISC in Santa Cruz do Sul, RS, Kommentatorin bei der Radiosendung AHAI und Kolumnist bei www.brasilalemanha.com.br .
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