Erinnern wir uns an 1989, da traten so illustre Kandidaten wie Lula, Brizola, Mario Covas und Paulo Maluf an, doch wer gewann, war der Außenseiter Fernando Collor, der dann in seinem radikalen Programm erst einmal alle Bankkonten einfror, die Grenzen für Importautos öffnete und ein wirtschaftlich und politisches Programm auflegte, dass das politische Establishment in Angst und Schrecken versetzte und das Schlimmste befürchten ließ. In etwas mehr als 2 Jahren war er weg.
Dann kam die Restaurations- und Stabilisierungszeit von 8 Jahren Fernando Henrique und man glaubte daran, dass Brasilien nun den Anschluss an die hochentwickelte erste Welt gefunden hätte. Aber der brasilianische Wähler dachte anders, anstatt das Programm Fernando Henriques durch José Serra fortzusetzen, sprach sich die Mehrheit 2002 für Lula aus. Dies war der Lohn für sein Ausharren, er war vorher drei Mal angetreten und hatte drei Mal verloren. Ein Teil der Bevölkerung, und vor allem der Mittelstand und die Unternehmer befürchteten nun eine Sozialisierung wie in anderen lateinamerikanischen Ländern, doch davon blieb nicht viel übrig, Lula und seine Parteigenossen arrangierten sich mit dem politischen Establishment und überlebten so 13 Jahre. Dass sie die gleichen Fehler begingen und zum Schluss noch schlimmere als die traditionellen politischen Statthalter, wurde dann schließlich der ersten Präsidentin des Landes zum Verhängnis.
Das Land steht nun wieder einmal vor einer Entscheidung die polarisieren wird. Sollte der derzeit führende Kandidat gewinnen, dann könnten leicht Werte ausgetauscht werden, die so lange nicht mehr in Frage gestellt wurden. Doch es ist sicherlich zu erwarten, dass nicht so heiß gegessen wird wie gekocht. Trotz stabilen Machtverhältnissen im Kongress, muss er Mehrheiten zusammenbauen, die bis weit in die politische Mitte reichen. Auf der anderen Seite ist es durchaus möglich, dass wer immer verlieren wird, dies nicht so still und demokratisch hinnimmt, sondern in allen möglichen Formen rebellieren wird. Dies wird das kommende Jahr sehr unruhig werden lassen.
Dabei sollte aber die gesamte politische Klasse nicht vergessen, dass es nicht nur um sie selbst geht, sondern um ein Land von über 200 Millionen Menschen, die endlich wieder positiv nach vorne schauen wollen, um über 13 Millionen Arbeitslose, die wieder regelmäßig ihren Lohn nach Hause bringen wollen und um die Jugend des Landes, die endlich wieder wissen will wofür es sich lohnt sich einzusetzen.
Dies ist eine enorme Herausforderung, hinter der alle machtpolitischen Querelen zurückstehen sollten.
*Eckhard Ernst Kupfer ist deutscher Journalist, Direktor des Martius-Staden-Instituts in São Paulo, Herausgeber der Jahrbücher des Instituts, Mitautor von “Fünf Jahrhunderte deutsch-brasilianische Beziehungen”, Kommentator der Radiosendung AHAI – Die deutsche Stunde der Gemeinden > Block 05 und Kolumnist bei www.brasilalemanha.com.br – Notícias.
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