AHAI Nr. 976 Kommentar Nr. 104
Meine lieben Hörerinnen und Hörer in Brasilien,
die Nachrichten klangen äußerst dramatisch: „Unsere Kinder werden immer unglücklicher“, „Jung – wohlhabend – unglücklich“, so stand es in der vergangenen Woche in vielen deutsche Zeitungen.
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, hatte herausgefunden, dass deutsche Jugendliche zwischen 11 und 15 Jahren erstaunlich unzufrieden mit ihrem Leben seien. Von den 29 untersuchten Staaten landeten die jungen Deutschen auf einem schlechten 22. Platz.
Was an diesem Ergebnis verwundert, ist die Tatsache, dass Deutschland einen rekordverdächtigen Spitzenplatz einnimmt, wenn man sich die äußeren Lebensbedingungen der jungen Menschen ansieht. Es geht ihnen nämlich ausgesprochen gut. Sie genießen mehr Wohlstand, Gesundheit, Bildung und günstigere Wohn- und Umweltbedingungen als die Jugendlichen in den meisten anderen Ländern.
Doch wie ist der Widerspruch zu erklären – reich, aber unglücklich? Leider haben sich nur wenige Zeitungsredakteure die Mühe gemacht, die Zahlen der Unicef genau zu lesen und zu interpretieren. Dann wäre ihnen sicherlich aufgefallen, dass die Gruppe der unzufriedenen Jugendlichen in Deutschland , die sich über Leistungsdruck und fehlende Zukunftsperspektive beklagen, zahlenmäßig ziemlich klein ist und nur unwesentlich größer ist als in den anderen Staaten. Daraus auf eine weit verbreitete Unzufriedenheit zu schließen, ist schlichtweg unzulässig.
Ich bin der Meinung, man sollte bei solchen reißerischen Meldungen, die sich zudem noch auf scheinbar objektive Statistiken berufen, ein gesundes Misstrauen haben und genau hinschauen.
Bis zum nächsten Mal
Ihr Henning Fülbier
Kontakt: henning@fuelbier.de
*Henning Fülbier war neun Jahre lang zuständig für die Fachberatung Deutsch in brasilianischen Gymnasien von Rio Grande do Sul und Santa Catarina und ist heute unser Beobachter und Kommentator in Berlin