Die neue Regierung Temer hat sicher zu wenig getan um auf der Skala der Bevölkerungsakzeptanz hochzuklettern. Auf der anderen Seite war der Weg der neuen Regierung schon vorgezeichnet, denn was Brasilien außer dem politischen Wirrwarr bremst, war das grundsätzliche Fehlen der Bereitschaft zur Erneuerung des Landes, oder wie ein Kritiker sich ausdrückte, die Worte auf der Nationalflagge “Ordem e Progresso” müssten eigentlich dringend ersetzt werden durch “Desordem e Regresso”.
Die nach der Redemokratisierung von 1985 erarbeitete Konstitution war nicht gerade die beste. Weit entfernt von der fantastischen Arbeit der deutschen Begünder des Grundgesetzes von 1949, das bis heute im wesentlichen noch Bestand hat. Es stand eigentlich außer Frage, dass Brasilien dringend eine politische Reform benötigt, die die Regierung und denn Kongress handlungsfähiger machen würde, mit 35 Parteien zu regieren ist einfach unmöglich. Ebenso muss eine Finanzreform erfolgen, denn die totale Überschuldung der Bundesstaaten und Gemeinden kann nicht endlos weitergehen. Außerdem musste die Sozialversicherung und das Arbeitsrecht den heutigen Zeiten angepasst werden.
Die Regierung Temer hat sich auf die letzten beiden Reformen konzentriert, da die anderen derzeit wohl nicht durchführbar sind. Doch bereits bei der Erarbeitung der Entwürfe, entwickelte sich ein politischer Kuhhandel, der von der Reform recht wenig übrig ließ, da das Interesse der Abgeordneten an einer Wiederwahl über allem stand. Dazu kam dann noch, dass die bereits verwässerten Gesetzesänderungen der Bevölkerung sehr schlecht vermittelt wurden, und damit hauptsächlich die scheinbar schlechteren Bedingungen für die Arbeitnehmer und Sozialversicherten populär wurden.
Dass dies wiederum zu einem gewissen Aufstand im Lande führte, ist nicht verwunderlich. Denn die meisten der Streikenden vom 28. April haben sich nie eingehend mit den neuen Regeln der Gesetzesänderungen beschäftigt, sondern treu und brav die Kritiken von Gewerkschaften und Interessenvertretern nachgeplappert. So entstand eine totale Unzufriedenheit im Lande. Was aber noch viel schlimmer ist: die ständigen Ausnahmen und Änderungen werden die beiden Gesetze so verwässern, dass sie in wenigen Jahren neu überarbeitet werden müssen, da sie die erhoffte Verbesserung nicht bringen werden.
*Eckhard Ernst Kupfer ist deutscher Journalist, Direktor des Martius-Staden-Instituts in São Paulo, Herausgeber der Jahrbücher des Instituts, Mitautor von “Fünf Jahrhunderte deutsch-brasilianische Beziehungen”, Kommentator der Radiosendung AHAI – Die deutsche Stunde der Gemeinden > Block 05 und Kolumnist bei www.brasilalemanha.com.br.
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