Brüderlichkeit geht ohnehin nicht mehr, das muss jetzt durch Geschwisterlichkeit ersetzt werden. Ob Frankreich in seiner Freiheitshymne den Begriff „Fraternité“ auch ersetzen wird?
Nehmen wir die Realität war, die Demokratien sind auf dem Rückzug. Die große politische Öffnung von 1990 in Europa war eine Blendung. Wer glaubte dass damit alles gut würde, und die europäische Demokratie vom Atlantik bis zm Ural reichen würde, hat sich getäuscht. Man meinte damals, die Chinesen würde man auch noch davon überzeugen, man muss ihnen nur den Vorteil des Kapitalismus zeigen und schon würden sie auf diesen Zug aufspringen. Doch da hatte man nicht mit der Cleverness der Partei gerechnet, Kapitalismus ja, aber dann bitte staatlich geplanter und überwachter Monopolkapitalismus. Damit hat man in den letzten Jahrzehnten die westlichen Kapitalgesellschaften an der Nase herumgeführt. Sie wurden geblendet vom Milliardenkonsumentenmarkt und unterwarfen sich komplett den chinesischen Regeln, produzieren und verkaufen im Lande ja, aber die Kontrolle bleibt in einheimischen Händen und damit beim Staat. So kam man ganz umsonst in den Besitz der besten westlichen Technologien und die Demokratien des Westens haben dies still geschluckt, bis jetzt endlich der amerikanische Präsident aufmuckte und sich dies nicht mehr gefallen lassen will. Ob man mit ihm einverstanden ist oder nicht, in diesem Punkt liegt er völlig richtig. Ob er aber mit seiner Politik der Bestrafung und Vergeltung gewinnen wird, ist nicht so sicher. Vielleicht gelingt ihm hier und da ein kosmetischer Teilerfolg, der ihm dann seine Wiederwahl sichert, aber in sechseinhalb Jahren ist seine Amtszeit spätestens zu Ende und die chinesische Staatspartei denkt in anderen Zeiträumen.
Wenn wir heute die starken Männer der Weltpolitik aufzählen, dann ist kaum ein wirklicher Demokrat dabei, weder Trump noch Putin noch Erdogan kann man als solche bezeichnen. Wenn wir das alte Europa ansehen dann erkennt man nur schwache Regierungen, die beliebig austauschbar sind und versuchen sich in einer Gemeinschaft der Schwachen zusammenzuhalten. Ob das gut geht ist die große Frage, denn die Europäische Union zeigt bereits Erosionsstellen, besonders im östlichen Teil wo die Demokratie keinerlei Tradition hat zeichnen sich nationalistische Tendenzen und Bewegungen ab die das europäische Gemeinschaftsdenken erheblich erschüttern. Gerade hat Orban in Ungarn eine klare Mehrheit erreicht, ganz demokratisch, in Polen werden Grundrechte abgeschafft, ganz demokratisch und die tschechische Regierung geht mit Brüssel ständig auf Kollisionskurs. Dazu kommt die stetige Zunahme der Rechtsparteien in den europäischen Stammländern. Was ist der Grund für deren Erfolg? Ganz einfach, der Appell an das nationale Gefühl und Denken. Sie sammeln Stimmen bei denjenigen ein, die Angst vor den Masseneinwanderungen haben, vor der Überfremdung der alten europäischen Nationen und fürchten dass sie früher oder später eine Minderheit im eigenen Land sein werden. Nachdem Millionen Europa überrollt haben, Syrer, Iraker, Afghanen und Afrikaner aus allen Teilen des Kontinents, fragten sich deutsche Politiker was für ein Land das eigentlich sei, und siehe da, bei dieser Grundfrage sind sich noch nicht einmal die Politiker der größten Partei einig. Gehört der Islam zu Deutschland, ist mittlerweile ein Streitpunkt. Wobei die Frage völlig falsch gestellt ist, richtig müsste es heißen, entsprechen die Regeln des Islam unserem Grundgesetz, wenn ja dann kann er dazugehören, wenn nein muss er verboten werden. Wenn er aber dazu gehört, und es militante Gruppen gibt die ihn undemokratisch auslegen oder anwenden wollen, dann müssen diese Gruppen verschwinden. Ob ausgewiesen werden oder in Gefängnisse gesteckt ist dann die nächste Frage. In letzterem Fall würden sie auch noch Kosten verursachen, die kein deutscher Steuerzahler gewillt ist zu tragen.
Doch diese klare Diskussion wird so in der Regierung nicht geführt, was immer mehr Bürgern nicht gefällt, die sich fremd im eigenen Land fühlen und deshalb scharenweise den nationalistischen Parteien zuströmen.
Die große Frage bleibt, und das wird eine Generationenfrage werden, wie stark sind die europäischen Länder und ihre nationale Kultur um all diese Fremden aufzunehmen und zu assimilieren. Es wird ein Kulturkampf werden, christliches Abendland oder islamisches Morgendland, wer passt sich wem an oder wer dominiert. Welche Kultur ist stärker und welche unterwirft sich.
Die Antwort kann eigentlich erst in ein bis zwei Generationen gegeben werden. Was jedoch möglich ist, die Entwicklung zu begleiten und dies kann man von Jahr zu Jahr. Außerdem kommt es auf diejenigen an die das Land politisch, sozial und kulturell führen. Sind sie schwach oder sind sie stark, denken sie an die Zukunft ihres Landes oder nur an das kurzzeitige politische Überleben.
In jedem Fall befindet sich die Welt in einer spannenden Phase denn es findet ein neuer Kulturkampf statt, der grenzübergreifend ist, die überschallartige Entwicklung der Informatik und der künstlichen Intelligenz kennt keine Grenzen mehr, kennt keine nationalen Gesetze, kennt nur noch eine Sprache und kann staatliche Regeln und Gesetze außer Kraft setzen indem es sie einfach überspringt. Diese Gefahr ist noch so neu, dass ihre wirkliche Gefahr nur beschränkt erkannt wird. Was sich in den letzten Jahren Facebook geleistet hat, ist ungeheuerlich, bricht alle Gesetze und Persönlichkeitsrechte und geht ungestraft davon. Diese Plattform genauso wie eine Reihe anderer befinden sich über den normalen staatlichen Strukturen, zahlen kaum Steuern, sind für ihren Inhalt nicht verantwortlich und sind kaum zu greifen. Solange die Verantwortlichen für ein Land nicht entsprechend reagieren, kommt die größere Gefahr von Facebook, WhatsApp, Twitter und anderen internationalen Kommunikationsplattformen.
Vielleicht hat Mister Trump garnicht so unrecht wenn er diese auch in Frage stellt. Auf jeden Fall benötigen wir weltweit neuere und modernere Politiker, die diesen Entwicklungen gewachsen sind und nicht solche die höchstens den Benutzerstatus besitzen und deren Entwicklung hinterher rennen. Wer ein Land führen will muss inovativ sein und nicht nur ein Verwalter oder ein besserer Archivar.
*Eckhard Ernst Kupfer ist deutscher Journalist, Direktor des Martius-Staden-Instituts in São Paulo, Herausgeber der Jahrbücher des Instituts, Mitautor von “Fünf Jahrhunderte deutsch-brasilianische Beziehungen”, Kommentator der Radiosendung AHAI – Die deutsche Stunde der Gemeinden > Block 05 und Kolumnist bei www.brasilalemanha.com.br – Notícias.
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