Deutschland im Tiefschlaf-Wahlkampf – von Henning Fülbier

In drei Wochen wird in Deutschland das Parlament neu gewählt. Die Partei mit den meisten Abgeordneten wird die künftige Regierung stellen, oft noch zusammen mit einer zweiten Partei. Anders als in Brasilien wird das Regierungsoberhaupt nicht direkt vom Volk gewählt.

Der Wahlkampf war bisher eher langweilig. Auf den Plakaten sind lauter fröhliche und heiter lächelnde Politikergesichter zu sehen, glückliche Kinder und entspannte Familien. „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“, heißt es bei der Christlich Demokratischen Union, der Partei, zu der die bisherige Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört.

Deutschland erscheint in diesen Wochen wie eine große Insel der Satten und Zufriedenen, wie ein Schlaraffenland, wo den Menschen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. In der Tat: Die deutsche Wirtschaft steht glänzend da, der materielle Wohlstand ist groß, die Arbeitslosigkeit niedrig.

Doch die bittere Wahrheit ist: Etwa 15% der Bevölkerung, vor allem Alleinerziehende, sind von Armut bedroht. 40 Millionen Deutsche (das ist die Hälfte der Bevölkerung) besitzt gerade einmal 1% des Privatvermögens. Umgekehrt nennt eine kleine Zahl von Reichen mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens ihr eigen. Tendenz zunehmend.

Von Chancengleichheit kann in Deutschland überhaupt keine Rede sein. Wer arm geboren wurde, bleibt arm bis an sein Lebensende. Ausnahmen bestätigen nur die Regel.

Hier liegt gewaltiger Zündstoff für die Zukunft des Landes. Zu befürchten ist aber, dass sich auch in der neuen Regierung kaum etwas ändern wird. Wie hieß es doch vor mehr als 170 Jahren in einem Spott-Gedicht über Deutschland:

„… Mach dir den Kopf nicht schwer

Im irdischen Gewühle

schlafe, was willst du mehr.“

*Henning Fülbier, Regisseur, Theaterpädagoge und Autor, war neun Jahre lang Fachberater für Deutsch an südbrasilianischen Schulen von Rio Grande do Sul und Santa Catarina und Dozent für Deutsch als Fremdsprache am IFPLA in Ivoti, RS. Heute, u. a., unser Beobachter und Kommentator in Berlin für die Radiosendung AHAI – Die Deutsche Stunde der Gemeinden – Bl. 01 und Kolumnist bei www.brasilalemanha.com.br.
E-Mail: henning@fuelbier.de