Einige davon sitzen bereits verurteilt im Gefängnis, andere in Untersuchungshaft. Da aber zur Korruption immer zwei Seiten gehören: Die aktiv Korrumpierenden und die Passiven, die das Geld erhalten, ist es nur logisch, dass die Justiz, wenn sie korrekt sein will, beide Seiten bestraft. Es hat lange gedauert bis es zu diesem zweiten Schritt kam, doch seit gestern ist es nun publik, 98 hochpolitische Personen werden im Prozess “ Lava Jato” untersucht: 8 Minister, 3 Gouverneure, 24 Senatoren und 39 Abgeordnete. Das kommt einem politischen Erdrutsch gleich.
Doch es ist Vorsicht geboten, obwohl wir wissen, dass in Brasilien Geben und Nehmen zwischen Interessenvertretern und Politikern zum täglichen Geschäft gehört, ist der Beschluss eines der obersten Richter, die Untersuchung zu eröffnen, noch lange keine Anklage und noch weniger eine Verurteilung.
Dies ist ein Punkt, an dem man die Presse rügen muss. Seit gestern vergeht keine Stunde dass nicht irgendein Fernseh- oder Rundfunkkanal, keine Internetsite und keine Zeitung diese veröffentlichte Untersuchungsliste ständig wiederholt. Für die Mehrheit des Volkes kommt dies bereits einer Verurteilung gleich. Sie haben es ja immer gewusst, die Politiker und besonders die wichtigsten sind korrupt und lassen sich Millionen Beträge von der Bauwirtschaft bezahlen. Das mag ja wirklich der Fall sein, aber Medienvertreter sind gehalten objektiv zu berichten und nicht in Sensationalismus zu verfallen.
Bisher gibt es nur die Aussage von verurteilten und gefangenen Unternehmern und deren Geschäftsführer. Sie haben Listen vorgelegt und glaubhaft versichert, dass sie Millionen an die erwähnten 98 Personen bezahlt haben. Hat man aber schon den Weg es Geldes untersucht, und die Annahme durch die Korrumpierten bewiesen? Hat man geprüft ob diese Gelder in der Wahlkampfabrechnung nicht ordentlich verbucht wurden? Das sind Fragen, die man eigentlich vor einer großen Pressepublikation erst einmal hätte klären müssen.
Eine alte Justizregel heißt: “in dubio pro reo”, im Zweifelsfalle für den Angeklagten. In dem derzeitigen Fall ist aber noch nicht einmal Anklage erhoben worden, sondern es wird erst mit der Untersuchung begonnen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Justiz mit der Veröffentlichung zu sehr vorgeprescht ist. In einem echten demokratischen Staat, wäre der Prozess damit bereits erledigt, denn es würde den Rechtsanwälten der Angeklagten leicht fallen nachzuweisen, dass das Justizgeheimnis nicht eingehalten wurde und durch die sensationalistischen Veröfffentlichungen ein neutraler Prozess nicht mehr möglich sein wird.
Aber andere Länder andere Sitten. Wer weiß, vielleicht endet alles wieder einmal in Pizza.
*Eckhard Ernst Kupfer ist deutscher Journalist, Direktor des Martius-Staden-Instituts in São Paulo, Herausgeber der Jahrbücher des Instituts, Mitautor von “Fünf Jahrhunderte deutsch-brasilianische Beziehungen”, Kommentator der Radiosendung AHAI – Die deutsche Stunde der Gemeinden > Block 05 und Kolumnist bei www.brasilalemanha.com.br.
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