Nachdem wir täglich mit Live-Informationen, mit Krankenhausbildern, mit Massengräbern und mit Einzelschicksalen überhäuft, ja zugedeckt werden, besteht die Gefahr, das wir allmählich abgestumpft und resistent werden. Nicht gegen den Virus, aber gegenüber den sich ständig wiederholdenden Nachrichten. In diesem Fall stimmt das Sprichwort: „steter Tropfen, höhlt den Stein“ sicher nicht, sondern stete Wiederholungen der immer gleichen Nachrichten machen resistent.
Als die Todesrate in Brasilien eintausend überschritt, war man geschockt und dachte, nun kommt die Welle auch hierher, als in wenigen Wochen die zehntausender Marke überschritten wurde, wusste man, dass der Virus angekommen ist und das Land voll im Griff hat. Seitdem bleiben wir erstaunlich kühl wenn sich die Zahl verdoppelt und immer weiter steigt. Selbst wenn diesen Monat die Millionengrenze der Infizierten und die sechzigtausender Marke der Opfer überschritten sein wird, denken wir immer weniger an die sich verschlimmernde Auswirkung, sondern wir stellen uns immer mehr die Frage: wie kommen wir da wieder raus? Dass dies eigentlich die Frage der Verantwortlichen in der Regierung sein sollte ist eine andere Sache. Aber Brasilia ist weit weg und das Interesse dieser Herren ist ein anderes. Aber auch in den Bundesstaaten oder den Grossstädten, ist der Wunsch und der Drang zurück zur Normalität viel stärker, als der Schutz vor der eventuellen Gefahr.
Woher kommt dies? 3 Monate Ausnahmezustand, eingesperrt sein und vielen seiner geliebten Lebensgewohnheiten entsagen zu müssen, relativiert die Gefahr einer Ansteckung enorm, obwohl diese nach wie vor latent ist.
Dabei machen sich immer mehr Experten und auch viele Bürger Gedanken darüber wie das Leben danach weiter gehen soll. Gut Gesichtsmasken tragen , ständig die Hände und alle Gegenstände die man anrührt zu desinfizieren, daran kann man sich gewöhnen. Mit dem Abstand halten ist es schon etwas schwieriger, in öffentlichen Verkehrsmitteln wird dies schon heute nicht immer eingehalten, weil es einfach nicht geht. Aber auch sonst beim Einkaufen, in Banken in öffentlichen Dienststellen, sieht man schon heute immer wieder Bilder von dicht gedrängten Menschenmengen. Der Sicherheitsabstand wird bald vergessen sein. Anders wird es sicher in Restaurants werden, in Flugzeugen und in Betrieben oder Büros. Da werden Bestimmungen eingeführt werden, die die Freude am Ausgehen und am Reisen nachhaltig verändern werden.
In Büros gehen auf jeden Fall. Viele Firmen haben erkannt wie gut es geht Mitarbeiter im home office zu beschäftigen. Online kann man ihre Aktivität bewerten und kontrollieren und der Zeitverlust des An- und Abreisewegs fällt weg. In dieser Richtung wird es zu Änderungen kommen, die sich dann auch im Morgen- und Abendverkehr bemerkbar machen werden. Konferenzen mit langen Anreisewegen, Hotelübernachtungen und üppigen Verpflegungen werden stark zurückgehen. Messen an Standorten auf anderen Kontinenten werden eher eine Seltenheit werden. Kurz, der Mensch wird immer virtueller.
Ob dies anhält? Es ist durchaus möglich, dass die kommende Generation dies als ganz normal betrachtet und tatsächlich ihr Leben vor dem Bildschirm, Tablet oder Smartphone einrichtet, solange bis die nächste technologische Erfindung kommt oder sich durchsetzt, seien es die elektronischen Brillen, die Einpflanzung von Chips ins Gehirn oder Applikationen die unsere Gedanken und Entscheidungen lesen und übertragen können.
Ob aber mit all diesem Fortschritt unser Globus sauberer und lebenswerter sein wird, diese Frage kann derzeit niemand beantworten. Die Optimisten meinen, dass das Umweltbewusstsein damit stärker verbreitet werden wird, und die zukünftigen Generation mit der Natur pfleglicher umgehen werden. Die Pessimisten meinen, dass die Überbevölkerung, die noch eine ganze Weile anhält, noch mehr Schaden anrichten wird, und deshalb solche Pandemien zum normalen Regulierungsprozess der Menschheit gehören werden.
Warten wir es ab.
Ich selbst bin gespannt, ob diese Pandemie am Jahresende ein ähnliches Ergebnis bringen wird wie der erste black-out in den 1990er Jahren in New York: die Geburtenrate stieg danach besonders.
*Eckhard Ernst Kupfer ist deutscher Journalist, Direktor des Martius-Staden-Instituts in São Paulo, Herausgeber der Jahrbücher des Instituts, Mitautor von “Fünf Jahrhunderte deutsch-brasilianische Beziehungen”, Kommentator der Radiosendung AHAI – Die deutsche Stunde der Gemeinden > Block 05 und Kolumnist bei www.brasilalemanha.com.br – Notícias.
E-Mail: ekupfer@martiusstaden.org.br
Audio dieses Kommentars – AHAI bl 05